Sabine Voelker: “Sie kommen um zu gehen”

Um dieses Buch schreiben zu können, musste ich mich zuerst selbst von vielen psychologischen, pädagogischen Konzepten verabschieden. Sie hinderten mich einfach daran, Jugendlichen wirklich zu begegnen. In dem ich dies tat, schenkte ich mir die Freiheit, unvoreingenommener in den Begegnung mit Jugendlichen zu sein. Ich wurde offener und sensibler für das, was sie brauchten von mir, wonach sie mich fragten und wovon sie mir erzählten. Ich bin eine Psychologin, die sich in der Tradition der Seelenheilkunde zuhause fühlt. So ist es wohl auch kein Zufall, dass die Jugendlichen mich lehrten, dass sie neben dem funktionalen und materiellen Wissen ein Wissen um die Seele, die seelischen Zusammenhänge, die den Lauf der Welt erklären, erwerben wollten.

Darum geht es in diesem Buch, um das Seelenwissen, das Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsenen zu lernen haben. Ich gehe davon aus und zeige dies auch, dass Seelenwissen den jungen Menschen ein tiefes und notwendiges Wissen um den Lauf der Welt und vor allem Orientierung in dem tief greifenden Wandlungsprozess schenkt, in dem sie sich befinden. Unter diesem Aspekt betrachte ich detailliert die Zeit zwischen zwölf und achtzehn Jahren. Diese Lebenszeit ist geprägt von tiefen Wandlungsprozessen, die die jungen Frauen und Männern auf allen Ebenen ihres Lebens und vor allem an und in sich selbst erfahren. Kein Stein bleibt auf dem anderen stehen. Das ist gut so und notwendig. In diesem Prozess der Wandlung und Veränderung benötigen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Erwachsene, die sie begleiten, von denen sie lernen mögen und die ihnen Orientierung schenken. Das heißt, sie brauchen, ältere Menschen, die ein Mehr in sich tragen und ihnen dieses Wissen vermitteln können. Ich nenne sie Lichtgestalten. Damit richtet sich das Buch an Eltern, Pädagogen, Fachkräfte, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen leben oder arbeiten. Denn sie sind die potentiellen Lichtgestalten. Den Lichtgestalten, ihrer Funktion, ihren Möglichkeiten und Grenzen widme ich ein eigenes Kapitel. Der Leser und die Leserin erhalten aber auch Anregungen und Informationen über das Seelenwissen. Anhand vieler Beispiele verdeutliche ich, wie ich dieses Wissen zu den Jugendlichen brachte. So dass sie es annehmen und in ihr Leben integrieren konnten und wollten. Die Beispiele und die Informationen schenken Orientierung und Handlungsfähigkeit für die konkreten Begegnungen. Indem ich meine eigenen Begegnungen transparent mache, öffne ich gleichzeitig ein Tor in die Welt und in die Gedanken, der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, denen ich begegnete. In diesen Beispielen wird deutlich, dass die Jugendlichen sich Gedanken zu sich und ihrem Leben machen. Sie sorgen sich, sie kämpfen für sich, sie sehnen sich. Sie wollen, dass aus ihnen etwas wird. Ich beschreibe das Ziel und die Aufgaben, die die Jugendlichen dafür zu bewältigen haben. Ich beschreibe die Aufgaben, mit denen die Jugendlichen vom Leben selbst konfrontiert werden, um dieses Ziel zu erreichen. Mädchen und Jungen haben dasselbe Ziel. Sie haben aber, um zum Ziel zu gelangen, verschiedene Dinge zu lernen. Auch davon erzähle ich in dem Buch. Dem Rechnung tragend, stelle ich die Mädchen – und die Jungenwege dar. Ich erzähle von den Verbündeten der Jugendlichen. Dies sind Sexualität, Liebe, der eigene und freie Wille, der Lebenstraum und die Gaben und Talente die ein jeder Mensch mitbekommen hat, um seinen Weg gehen zu können. Ich zeige auf, wie ich versuche, die Jugendlichen mit den Verbündeten bekannt zu machen. Ich beschreibe Erfolge und gescheiterte Versuche, die mir dienten, neu zu lernen. Jugendliche und junge Erwachsene begegnen in dieser Zeit nicht nur ihren Verbündeten. Sie begegnen auch Herausforderungen, die sie zu bewältigen haben. Anders als die Verbündeten, deren Aufgabe ich darin sehe, die Jugendlichen mit dem Leben zu verbinden, bezeichne ich die Herausforderungen als Ungeheuer. Ungeheuer, weil sie in der Verbindung mit ihnen das eigene Leben verkümmern lassen. Es handelt sich um die Möglichkeit in Abhängigkeit zu gehen, Gewalt und um die Liebesbeziehung der Eltern, wenn die Liebe vorbei ist. Sowohl bei den Verbündeten als auch bei den Herausforderungen beschreibe ich das Wissen, das für die seelische Entwicklung eine große Bedeutung hat. Es ist Wissen, dass erfahrungsgemäß den Wissensdurst der Jugendlichen stillte und eine lebendige Begegnung ermöglichte. Das Ende dieser Lebensspanne markiert der achtzehnte Geburtstag. Er ist sowohl für die jungen Erwachsenen und als auch für die Eltern von besonderer Bedeutung. Ich beschreibe Dynamiken und Entwicklungen, die typischerweise mit ihm einhergehen. Ferner stelle ich ein Ritual vor, das deutlich macht, wie es den jungen Menschen unterstützt, seelische Prozesse dieser Zeit abzuschließen und ihn für das Neue öffnet, in das er oder sie eintritt. Ich habe nicht ausgelernt. In meiner, nun vor allem supervisorischen Tätigkeit, inspiriere ich mit diesem Wissen Eltern und Fachkräften, ihren eigenen Weg zu erkennen und ermutige sie, ihn zu gehen. Um die Aspekte des Seelischen zu wissen schenkt Handlungsfähigkeit und bringt Freude in das eigene Leben und in das Leben miteinander. Davon erzähle ich in diesem Buch.