Kiellands Roman Jakob

Alexander L. Kielland
»Jakob«
Roman
Übersetzt von Marie Leskien-Lie und Dr. Friedrich Leskien.
Herausgegeben, bearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Rudolf Wolff
Werke in Einzelbänden, Band 1
240 Seiten, Preis: 14,95 €
ISBN 978-3-930730-08-7

I

Einige Meilen weit vom Meer, da, wo sich das Land langsam nach den Bergen zu heben begann, lagen die kleinen Höfe einsam und verstreut, und Flächen von schwarzem Moor mit schilfumsäumten Tümpeln zogen sich zwischen sanft ansteigenden Hügeln hin, wo niedriges Heidekraut zwischen großen Steinen wuchs.

Der Weg, der nur aus einer gewissenhaft eingehaltenen Wagenspur  bestand, schlängelte sich so zwischen Hügelchen und Steinen, wie sich die besonnenen Pferde seit der Zeit, da sie mit Saumsatteln gingen, ihren Weg gebahnt hatten; und kein Pferd, geschweige denn ein Mensch hatte je daran gedacht, die gewissenhaft eingehaltene Spur zu verlassen.

Den Weg herunter kam ein hochgewachsener, kräftiger Bauernbursche mit hellem rotem Haar und Sommersprossen. Er wandte sein großes, flaumbedecktes Gesicht nach Nordwesten dem Meer, der Stadt zu, gerade dem Gold der Abendsonne entgegen, das die Spitzen des Heidekrauts unten am Wasser in Rot tauchte, in einem breiten Band nach dem niedrigen Westufer hinüberwogte und strahlend in dem schmalen Meeresstreifen dicht unter dem Horizont glitzerte. Das Gold leuchtete tief in ihn hinein durch seine hellblauen blinzelnden Augen.

Und in ihm drin war lauter Gold. Er dachte an nichts anderes, er sah nichts anderes, sondern ging unaufhaltsam, als watete er schon im Gold, nach Norden, der Stadt, der Stadt entgegen, die vollgestopft war von Dukaten, Dukaten und Mädchen.
Doch Törres Snörtevold hatte nicht viel echtes Gold in seinem Leben gesehen. Einigen vergoldeten Rahmen in der Stube des Pastors traute er nicht so recht. Aber gestern hatte er zwei echte Dukaten von den Viehhändlern, die für den Engländer Schafe kauften, bekommen. Törres nahm die Dukaten mit sich in die Einsamkeit hinauf auf den Boden, drückte sie in der Hand, ließ sie vorsichtig gegen einen Nagel klingen, beroch sie und biß sie behutsam an. Die ganze Nacht hatte er sie bei sich im Bett, legte sie an seine Wange und rieb sie im Halbschlaf gegeneinander, um zu hören, ob sie beide noch da wären.

Am nächsten Tag war er wie verwandelt. Er wollte sogleich allein in die Stadt gehen. Er, der immer von der Stadt redete, aber nie den Mut hatte mitzugehen, wenn die anderen zum Jahrmarkt zogen; er, der immer für die Reise in die Stadt gespart hatte, aber nie genug bekam, er war jetzt auf einmal bereit und ließ sich nicht mehr zurückhalten.

Sein Geld trug er in kleinen Päckchen über den ganzen Körper verteilt,  als er jetzt in der Nachmittagssonne auf das große Wasser zuging, wo er eine Gelegenheit zu finden hoffte, mit dem Boot zum Bahnhof auf der anderen Seite des Wassers übergesetzt zu werden.

Er wußte, wieviel ein Billett nach der Stadt kostete. Es war unerschwinglich teuer; aber bei der Sehnsucht, die ihn verzehrte, war es ihm unmöglich, anderthalb Tage zu Fuß zu gehen. Für die Bootsfahrt hatte er 25 Öre gerechnet. Als er aber jetzt so weit kam, daß er den großen Stein am Rande des Wassers sah, wo, wie er wußte, das Boot liegen sollte, fiel ihm ein, daß Anders, dem das Boot gehörte, möglicherweise nicht da sein könnte. Dann wollte er das Boot borgen und sich selbst auf die andere Seite des Wassers hinüberrudern. Das kostete gar nichts, denn hierher würde er ohnehin nie mehr zurückkommen.