Briefe aus dem Jenseits

Katja Wolff
»Briefe aus dem Jenseits«
60 Seiten – Preis 6,95 €
ISBN 978-3-930730-48-3

Ich habe in meinem Leben zweierlei am meisten gehaßt: Adam Kowalski und Briefe schreiben. Jetzt sitzt Adam Kowalski neben mir und paßt auf, daß ich mit dem Briefeschreiben nicht aufhöre. Wenn doch, dann macht er Mitteilung, umgehend und mit dem größten Vergnügen. Denn er weiß: Dann kommen schnurstracks zwei von diesen Teufeln angeflattert und machen mir Feuer unter dem Hintern. Das ist nicht nur so daher gesagt. Sie tun es wirklich.

Eigentlich hatte ich immer geglaubt, alles in allem doch ein ganz guter Mensch zu sein.

So kann man sich irren.

Wegen dieses Irrtums sitze ich jetzt hier und schreibe mir die Finger wund. Ob es eine Hoffnung auf Begnadigung gibt, weiß ich noch nicht. Meine Beerdigung ist erst drei Monate her.

Für wen und wozu ich jetzt bis in alle Ewigkeit Briefe schreiben soll, hat mir niemand gesagt. Aber wehe, ich höre auf! Dann freut sich Adam Kowalski, und mir wird Feuer unter dem Hintern gemacht. Beides ist höchst unangenehm. Daß einer wie Adam Kowalski unter keinen Umständen in den Himmel kommen kann, ist mir eigentlich schon bei unserer ersten Begegnung klar gewesen. Was meine bescheidene Wenigkeit angeht, hatte ich allerdings erwartet, daß der liebe Gott ein Auge zudrücken würde. Oder nötigenfalls auch beide. Ja nun, ich weiß jetzt, daß die Liste meiner Sünden ein dickes Buch füllt, aber ich hoffe doch, daß die Eintragungen nicht mit Tinte, sondern nur mit Bleistift gemacht worden sind, damit sie nach und nach ausradiert werden können.

Ein Leben dauert normalerweise vielleicht 80 oder 90 Jahre, mal mehr, mal weniger. Auf die Zahl kommt es nicht an. Sondern darauf, daß ein Leben kurz ist im Vergleich zur Ewigkeit. In 80 oder 90 Jahren kann man viele Fehler machen. Das bleibt einfach nicht aus. Niemand macht sein Leben lang alles richtig. Aber soll ich deshalb jetzt bis in alle Ewigkeit neben Kowalski sitzen, Briefe schreiben und hin und wieder einen Blick darauf werfen, wie vergleichsweise gut es dem Kerl geht?

Adam Kowalski hat nämlich die Vergünstigung erhalten, daß er hier Zigarren rauchen, Bier trinken und herzhafte Hausmannskost zu sich nehmen darf, was er um so mehr genießt, da ich gar nichts darf, außer ununterbrochen Briefe schreiben. Wahrscheinlich glaubt Kowalski, er ist im Himmel. Aber da täuscht er sich gewaltig. Ihm werden sie auch noch Feuer unter dem Hintern machen. Da bin ich mir ganz sicher. Das wird für ihn um so schlimmer sein, weil er gar nicht mehr damit gerechnet hat. Vielleicht muß er dann Kartoffeln schälen oder Erbsen zählen. Das wird er ganz bestimmt hassen. Und dann sitze ich neben ihm, passe auf, rauche Zigarren, trinke Bier und esse all die leckeren Sachen, auf die er auch Appetit hätte. Dann soll er nicht glauben, ich gebe ihm etwas ab. Nichts bekommt er von mir. Gar nichts! Wenn er unerlaubt Pause macht, mache ich sofort Mitteilung, und dann kommen sofort zwei von diesen Teufeln angeflattert. Dann sieht er mal, der Kowalski, wie das ist, wenn einem Feuer unter dem Hintern gemacht wird. Und ich kann mir dann für einen kurzen Moment einbilden, ich wäre im Himmel.

Können die Freuden des Himmels schöner sein als der Anblick, wie Kowalski Feuer unter dem Hintern gemacht wird? Da kann einem doch das ganze Paradies mit Engeln und Obstbäumen gestohlen bleiben, wenn man statt dessen aus nächster Nähe mit ansehen darf, wie Kowalski gepiesackt wird. Das wird ein Spaß! Darauf freue ich mich schon. Denn er hat es ja wirklich verdient! Strafe muß sein, und gerecht muß es zugehen. Also wird auch Kowalski eines besonders schönen Tages seine Quittung bekommen.

Bis dahin werde ich weiter Briefe schreiben, von denen ich wirklich hoffe, daß sie irgendwie zugestellt werden, damit die Arbeit nicht umsonst war. Schuften ohne Ende, ohne daß es einen Zweck hat – das wäre doch die Hölle!

Lieber Pastor!

Wir kannten uns ja eigentlich kaum, nur so ein bißchen vom Sehen. Jedenfalls ich Sie. Auch wenn ich Sie nicht immer gegrüßt habe. Ob Sie mich kannten, weiß ich nicht. Meine Beerdigung haben Sie alles in allem recht schön gemacht, doch ja, das muß ich sagen. Ich danke Ihnen also für Ihre ergreifenden Worte, die meiner Familie offenbar viel Trost gespendet haben. Obwohl natürlich praktisch gar nichts stimmte von dem, was Sie den Trauergästen erzählt haben. Aber das macht nichts. Dafür war er schön ergreifend und feierlich, und alle waren einigermaßen traurig und gleichzeitig auch wieder getröstet. Das haben Sie sehr gut hinbekommen.

Ich war ja nicht so sehr oft in der Kirche. Die Bänke sind so hart, und dann wurde da auch immer verlangt, daß ich Lieder singen soll, die ich gar nicht kenne. Außerdem wurde erwartet, daß ich mein gutes Bargeld in den Klingelbeutel werfe. Das hat mir irgendwie nicht gefallen.

Man kann auch ohne die Kirche an Gott glauben, habe ich immer gesagt. Gott ist nicht katholisch und nicht evangelisch, Gott ist eben Gott, er steht über den Dingen, und wenn ich zu Hause bleibe, sieht er mich genauso wie in der Kirche. Also bin ich nicht hin gegangen, und deshalb kannten Sie mich wahrscheinlich nicht.

Wir hatten ja auch eine Bibel zu Hause im Wohnzimmer im Regal, noch von meiner Urgroßmutter her, schön in Leder gebunden und mit Goldaufdruck. Die Buchstaben darin waren allerdings von der altertümlichen Sorte. Schwer zu lesen. Wo ich doch auch schon mit der Tageszeitung immer genug zu tun hatte. Bis man die durch hat von vorn bis hinten, ist der Vormittag um. Man muß ja informiert sein. Und dann hat man ja auch noch andere Dinge zu tun. Man kann ja nicht den ganzen Tag lesen.

Kleinere Anmerkungen

Wenn ein Mann, den weniger feinsinnige Zeitgenossen mit allem Recht der Welt vielleicht als »Kotzbrocken« bezeichnen würden – wenn so jemand stirbt, dann ist nicht zu erwarten, daß er in den Himmel kommt, um bis in alle Ewigkeit glückselig zu sein. Eher wird er sich einige Etagen tiefer wiederfinden. Und dort ist es bekanntlich gar nicht schön.

»Briefe aus dem Jenseits« ist eine schräge Satire, basierend auf der Überlegung, daß man in der Hölle durchaus zu Tätigkeiten gezwungen werden könnte, die einem ganz und gar nicht zusagen.

Da sitzt nun also jemand, den der liebe Gott beim besten Willen (noch?) nicht in den Himmel lassen konnte, mitten in der Hölle an einem Tisch. Ihm gegenüber der Mann, den er zu Lebzeiten am allermeisten gehaßt hat. Und dem geht es in der Hölle wirklich gut. Er bekommt Bier, reichlich deftige Hausmannskost und gute Zigarren bis zum Abwinken.

Der andere dagegen ist gezwungen, pausenlos Briefe zu schreiben. Das hat er nämlich zu Lebzeiten schon nicht gern getan. Zu essen und zu trinken bekommt er gar nichts. Und wenn er aufmuckt, kommen die Dämonen, um ihn zu piesacken.

Mosaiksteinchenhaft setzt sich aus den einzelnen Briefen ein Lebens- und Charakterbild zusammen, in dem Bosheit, Heuchelei, Habgier und Selbstgerechtigkeit die dominierenden Elemente sind. Denn eigentlich ist sich der Höllensträfling keiner Schuld bewußt. Für seine Sünden und Fehler findet er entweder fadenscheinige Entschuldigungen oder aber Gründe dafür, warum grundsätzlich andere Schuld sind an dem, was er verbockt hat. Jedenfalls ist er felsenfest davon überzeugt, im Grunde genommen nicht schlechter zu sein als alle anderen auch.

Seine Briefe richten sich unter anderem an seine Familie, den Pfarrer, den Papst, die Gattin seines Tischnachbarn, an seine Mutter, an Gott, den Teufel, an die Spiritisten, an Freunde, Bekannte und andere Menschen, die er im Laufe seines Lebens geschädigt hat. Zuletzt richtet er einen verzweifelten Hilferuf an Jesus, weil er zu der Überzeugung gelangt ist, daß nur er ihn aus der Hölle herausholen kann.

Natürlich wird sich kein Leser bei der vergnüglichen Lektüre dieser bissigen Satire wiedererkennen, denn so abgrundtief gemein wie dieser Höllensträfling, der sich irgendwie keiner Schuld bewußt ist, ist ja zum Glück niemand.