Buchumschlag Menzel der Franzosenfresser von Ludwig Börne

Ludwig Börne
»Menzel, der Franzosenfresser«
Essay
176 Seiten – Preis 12,95 €
ISBN 978-3-930730-43-8

Aus dem Nachwort

Geboren 1786 in Frankfurt als Sohn des wohlhabenden »Handelsjuden in Wechselgeschäften« Jakob Baruch, wuchs Ludwig Börne unter dem Namen Juda Löw Baruch im Ghetto der bekanntermaßen judenfeindlichsten Stadt Deutschlands auf. Von einer glücklichen Kindheit konnte nicht die Rede sein. Erzogen gemäß den strengen Prinzipien seines Glaubens, litt das schwächliche, kränkliche Kind schon früh unter Demütigungen, Feindseligkeiten und offenem Haß, der den Juden außerhalb der Ghettomauern entgegenschlug. Verachtet zu sein, ausgestoßen, unterdrückt und fremder Willkür ausgeliefert, diese grausamen Folgen der Rechtlosigkeit waren seine prägenden Erlebnisse.

1805 begann er ein Medizinstudium in Halle, wo er auch die Vorlesungen Schleiermachers besuchte und mit dessen radikalen Forderungen nach einer Erneuerung der protestantischen Ethik vertraut wurde. Sein Medizinstudium brach er 1806 ab. 1808 immatrikulierte er sich an der Universität Gießen als Student der Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaften. Nach abgeschlossenem Studium trat er in Frankfurt eine Stelle als Polizeiaktuar an, die er jedoch 1815 aufgrund seiner Religionszugehörigkeit wieder verlor.

Der streitbare Publizist Ludwig Börne

Als er sich mit den Plänen zur Gründung einer politischen Zeitschrift trug – Börne hegte die nur allzu begründete Furcht, als Herausgeber durch seinen jüdischen Namen antisemitische Vorurteile gegen sich und seine Zeitschrift zu schüren –, änderte er im April 1818 seinen Geburtsnamen in Ludwig Börne. Anfang Juni 1818 ließ er sich protestantisch taufen.

Bereits im Oktober 1819 waren dem streitbaren Journalisten Polizei und Justiz auf den Fersen. Börne floh nach Paris. Kaum zurückgekehrt nach Deutschland, war er 1822 erneut gezwungen, das Land zu verlassen. Sein zweiter Pariser Aufenthalt dauerte bis 1824. Von kürzeren Unterbrechungen abgesehen, verbrachte er ab 1830 den Rest seines Lebens in der französischen Emigration.

Börnes langes, qualvolles Sterben setzte im Jahre 1834 ein. Unheilbar krank und ausgezehrt von der Tuberkulose, bäumte er sich zur Jahreswende 1835/36 noch ein letztes Mal gegen Krankheit und Verfall auf. Sein letztes großes Pamphlet, geschrieben wenige Monate vor seinem Tod, trug den Titel Menzel der Franzosenfresser.

Dichtung und Essay

Ludwig Börne verstand sich nicht als Dichter, sondern als schreibender Politiker, Zeitkritiker und Aufklärer. Zeitlebens den Idealen der Französischen Revolution verpflichtet, lag ihm nichts daran, durch Schaffung großer literarischer Werke unsterblichen Ruhm zu erlangen. Einzig und allein an politischer Wirksamkeit und Einflußnahme auf die öffentliche Meinung seiner Zeit war ihm gelegen. Seine Ziele waren Freiheit und Demokratie. Sein Kampf galt der Abschaffung der Feudalherrschaft und Kleinstaaterei. L’art pour l’art, die er beispielsweise Heine unterstellte, war ihm zutiefst verhaßt. Nicht persönliche Eitelkeit unter dem Deckmantel des literarischen Ästhetizismus führte seine Feder, sondern die Empörung über Unfreiheit und Unterdrückung. Was er zu sagen hatte, sollte vom Volk, von jedermann verstanden werden; entsprechend klar war sein Stil, entsprechend ungekünstelt und präzis seine Sprache. Seine Themen waren die politischen Themen seiner Zeit. Angetrieben von einem religiös motivierten Streben nach Gerechtigkeit, bestand sein Anliegen darin, den Boden für die Demokratie zu bereiten. Entrechtung der Juden wie auch Unterdrückung der europäischen Völker hatten für ihn dieselbe Ursache: die Feudalherrschaft. Freiheit des deutschen Volkes von der Fürstenherrschaft zu fordern, war für ihn identisch mit dem Postulat nach Emanzipation der Juden.

Nicht abstrakte Erkenntnis wollte er seinen Lesern vermitteln, sondern Motivation zur politischen Tat; die Einsicht in die politischen Zusammenhänge sollte, so sein Ziel, bei seinen Lesern zu politischem Handeln führen. Enttäuscht vom Glauben an die Wirksamkeit sukzessiver politischer Evolution, gelangte Börne zuletzt zu der Überzeugung, eine Besserung der Verhältnisse sei nur noch durch eine Revolution nach französischem Vorbild herbeizuführen.

Börne war ein radikaler Verfechter des Prinzips der Toleranz und benutzte den Humor als tödliche Waffe gegen seine reaktionären Widersacher, die, unfähig, seine Argumente zu entkräften, immer wieder darauf verfielen, ihn als unpatriotischen, verräterischen Juden zu diffamieren.

Stets auf Wirkung, Aufklärung und Schaffung eines politischen Bewußtseins bei seiner Leserschaft bedacht, das sich in der politischen Tat, der Revolution und gewaltsamen Herstellung der Republik manifestieren sollte, war es Börne, dem direkte und sofortige Einflußnahme vor Kunst ging, unmöglich, ein positives Verhältnis zu den Schriften des gigantischen Zeitgenossen aus Weimar zu finden. In seinen Briefen aus Paris bekennt Börne freimütig: »Seit ich fühle, habe ich Goethe gehaßt, seit ich denke, weiß ich warum.« In Goethe erkannte Börne die Verkörperung jener Prinzipien, die mit aller Kraft zu bekämpfen er sich zur Aufgabe gemacht hatte. Goethe war für ihn »der Dichter der Glücklichen«, dem nichts daran lag, sich zum Sprachrohr des unterdrückten Volkes zu machen, sondern dem es nur darum zu tun war, den Mächtigen zu gefallen, seinen Ehrgeiz sowie seine Eitelkeit zu befriedigen und dabei nicht mit den Nöten der Bevölkerung behelligt zu werden: »Despotendiener«, so nannte Börne den Geheimen Rat zu Weimar.

»Nie hat er«, schreibt Börne über den Erzfeind, »ein armes Wörtchen für sein Volk gesprochen, er, der früher auf der Höhe seines Ruhms unantastbar, später im hohen Alter unverletzlich, hätte sagen dürfen, was kein anderer wagen durfte.« Seine Anklage gipfelt in direkter Anrede in den Vorwurf des kruden Egoismus: »Du hattest ein gutes Schwert, aber du warst nur immer dein eigner Wächter!«

Die Gleichgültigkeit des Dichterfürsten gegen fremdes Elend, Knechtschaft und Unterdrückung brachte Börne zur Raserei. Daß Goethe »das Knechtische in der Natur des Menschen« glorifiziert, die Entsagung zur Tugend erklärt und ein fatalistisches Sich-Dreinfinden in die bestehenden Verhältnisse für ein Zeichen höherer Einsicht, ja Weisheit ausgegeben habe, wie Börne es sah, konnte der leidenschaftliche Aufklärer und Demokrat nur als Ausdruck vollendeter Unmenschlichkeit begreifen. Für Börne bestand die Pflicht des Menschen darin, seine Möglichkeiten im Sinne des persönlichen Verantwortungsgefühls zu nutzen und den Kampf gegen Unrecht, Ungleichheit, Unfreiheit und Unbrüderlichkeit aufzunehmen.
Solche Gedanken waren Goethe wesensfremd, lästig und zuwider.

Die Anzahl der Goethe-Gegner war nicht unbeträchtlich. Börnes Urteile über den bürgerlichen Ästheten, der unpolitische Literatur für seinen unsterblichen Nachruhm schaffte, wurde von vielen Zeitgenossen, insbesondere unter den Jüngeren, geteilt.

Zu seinen Mitstreitern gegen der Weimarer Erzfeind zählte Börne auch einen ehemaligen Burschenschaftler namens Wolfgang Menzel. Menzel lehnte Goethe aus scheinbar denselben Gründen ab wie Börne; in Wahrheit aber nur aus einem Grund: Goethe war ihm nicht deutschtümelnd, nicht nationalistisch genug. Goethe war zu sehr Weltbürger und zu wenig Deutschnationaler.
Dieselben Gegner zu besitzen, war für Börne lange Zeit gleichbedeutend mit: einig sein; einig sowohl über das zu Bekämpfende wie das zu Erkämpfende. Idem nolle hieß für ihn auch: idem velle. Börne glaubte sich mit Menzel auch einig über die Ziele.

Seinen Irrtum erkannte Börne erst kurz vor seinem Tod.

Wolfgang Menzel, Verfasser eines Buches über die Entwicklung der deutschen Literatur und Herausgeber des Literaturblattes bei Cotta in Stuttgart, hatte Börnes Briefe aus Paris freundlich gelobt und war, nicht zuletzt weil Zensur, Polizei und Justiz alle helleren Köpfe entweder eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht oder zur Emigration gezwungen hatten, der deutsche Literaturpapst seiner Zeit. Ein geschickter Taktierer, nahm er eine konsequente Sowohl-als-auch-Haltung ein, die ihm sowohl das Wohlwollen der Mächtigen als auch die Sympathie Börnes eintrug.

›Einig‹ waren sich Börne und Menzel auch in ihrem glühenden Patriotismus – wobei allerdings jeder der beiden seine eigene Definition des Wortes besaß. Verstand Börne darunter, von der Schaffung eines geeinten Deutschland einmal abgesehen, die Liebe zum Vaterland bei gleichzeitigem Respekt vor den Nachbarstaaten, so war Menzels »Patriotismus« im Kern nichts anderes als die euphemistische Umschreibung seiner erznationalistisch-bornierten Grundhaltung.

Daß sein scheinbarer Mitstreiter Menzel in Wahrheit sein Gegner war, erkannte Börne Ende 1835.

Im November erhielt er ein Schreiben, in dem Menzel, taktisch ebenso schlau wie perfid an Börnes Antipathie gegen Heine appellierend, den Emigranten im fernen Paris gegen die Schriftsteller des »Jungen Deutschland« aufzuhetzen versuchte. Zuvor aber hatte Menzel schon seine Intrigen gesponnen. Ihm war zu Ohren gekommen, daß Gutzkow, Laube und Wienbarg sich mit den Plänen zur Gründung einer Zeitschrift trugen. Menzel fürchtete die Konkurrenz, fürchtete um seine Stellung als Literaturpapst. Unter literarischen Vorwänden, tatsächlich aber nur aus Angst und Neid nahm er den Kampf gegen das »Junge Deutschland« auf und erstellte für den Bundestag eine Liste der Autoren, die angeblich »schlechte, antichristliche, gotteslästerliche und alle Sitte, Scham und Ehrbarkeit absichtlich mit Füßen tretende Literatur« verfaßt hatten. Im Dezember 1835 wurde die Verbotsliste vom Bundestag verabschiedet.

Menzel wußte um Börnes journalistische Macht, mit der er selbst aus Frankreich noch Einfluß auf die öffentliche Meinung ausübte; er wußte, wenn es ihm gelänge, Börne vor seinen Karren zu spannen, dann hätte er seinen Feldzug gegen das »Junge Deutschland« auch unter den kritischeren Geistern gewonnen.

Mit Hilfe der Staatsgewalt war es Menzel gelungen, die drohende Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Wohlweislich hatte Menzel darauf geachtet, daß Börnes Name auf der Verbotsliste fehlte. Hatte Menzel dafür auf die Dankbarkeit Börnes gerechnet, so hatte er sich geirrt.

In seiner Zeitschrift Balance, die er im französischen Exil herausgab, veröffentlichte Börne, als die Nachricht vom Bundestagsedikt und von Menzels Mitwirkung daran nach Paris gedrungen war, eine unmißverständliche Stellungnahme für das »Junge Deutschland« und gegen den Bundestagsbeschluß sowie dessen geistigen Urheber Wolfgang Menzel. Der nun, tödlich beleidigt über so viel »Undankbarkeit« des ganz und gar nicht korrumpierbaren Börne, beantwortete Börnes Artikel mit primitiven antisemitischen Anwürfen.

Jetzt erst gehen dem todkranken Börne die Augen auf. Noch einmal greift er zur Feder und holt aus zum letzten großen Schlag gegen drei Feinde: Menzel, die Reaktion und die Tuberkulose.

Nicht analytische Denkarbeit, nicht sorgfältige Ergründung der wahren Ziele und Ansichten Menzels hatten Börne zur Erkenntnis über den grundlegenden Unterschied zwischen reaktionär-nationalistischem »Patriotismus« und tolerant-liberalem Patriotismus gebracht, sondern erst Menzels Anwürfe, in denen der beleidigte Nationalist sein wahres Gesicht zeigte: seinen Franzosenhaß, seine Deutschtümelei, seine Judenfeindlichkeit und seine Korruptheit. Jetzt erst wurde Börne bewußt, wie dringend notwenig eine eindeutige Definition des Begriffs »Patriotismus« war, wie dringend er vor Mißbrauch geschützt werden mußte. Der schweren Krankheit trotzend, nahm Börne die große Arbeit auf sich, die Grundlagen für einen toleranten, liberalen Patriotismus als Basis zur Schaffung der Republik Deutschland zu legen. Nirgendwo sonst in Börnes Werk findet sich eine so klare Konzeption seiner Idee des Patriotismus.

Wolfgang Menzel, eine zweitrangige Figur, wurde, Ironie der Literaturgeschichte, unsterblich gemacht von jenen, die seine erbittertsten Feinde waren bzw. wurden: durch Heinrich Heines Über den Denunzianten und durch Börnes Menzel der Franzosenfresser.