Umschlag Kinderbuch von Nicole Rodenburg

Nicole Rodenburg
»Lauritz und der Herrscher der Fernsehwelten«
Fatansy-Roman
240 Seiten – Preis 14,00 €
ISBN 978-3-86672-044-2

Ein böser Traum oder ein böses Erwachen

Der erste Morgen in einer fremden Stadt mit einer fremden Schule, fremden Mitschülern, einer noch fremden Wohnung, sogar sein eigenes Zimmer war Lauritz noch fremd. Trotzdem machte sich der große, sportliche Junge keine Sorgen. Er war in seiner alten Schule äußerst beliebt gewesen. So sah er keinen Grund, warum er nun Schwierigkeiten haben sollte.

Der Tag erwachte nicht besonders verheißungsvoll. Erst konnte sich Lauritz nicht recht entsinnen, wo er war. In seinem alten Zimmer hatte sein Bett dem Fenster gegenüber gestanden. Jetzt musste er den Kopf nach rechts  wenden, um einen Blick hinauswerfen zu können. Was er sah, war nicht gerade verlockend. Gerade überzog ein düsteres Morgengrauen den Himmel, wie ein verwaschenes Bettlaken in einem dunklen Grau. Seinem Bett gegenüber befand sich die Zimmertür. Im dämmrigen Zwielicht war das daraufgeklebte Poster seines Lieblingsfußballers kaum zu erkennen. Doch Lauritz kannte jeden einzelnen Bildpunkt auswendig. Und vor seinem inneren Auge erschien der Bewegungsmoment des Fußballers, den das Bild eingefangen hatte, so klar, als würde gleißender Sonnenschein das Zimmer durchfluten. Plötzlich hörte er die lauten Rufe Tausender Fans im Stadion. Die gegnerischen Fußballer auf dem Platz rannten Lauritz Lieblingsfußballer nach, der im Ballbesitz, einem Kaninchen gleich Haken schlagend, über das Spielfeld hechtete. Unbemerkt tauchte wie aus dem Nichts ein gegnerischer Spieler auf und bedrängte ihn. Dicht an dicht gerieten beide Spieler. Der Spieler im Ballbesitz vollführte eine schnelle Wendung, spielte den Ball durch die eigenen Beine. Plötzlich traf ihn der Fuß des Gegners. Die harten Stollen gruben sich in die Knöchel. Der Spieler stürzte und blieb mit geschlossenen Augen am Boden liegen. Atemlos beugte sich Lauritz über seinen Lieblingsfußballer. Er fühlte seinen eigenen Herzschlag auf sonderbare Weise mit dem des Spielers verwoben. Daher war er sich sicher, dass dieser gleich die Augen aufschlagen würde. Tatsächlich: Kurz flackerten die Lider des Spielers, dann kreuzten sich auch schon seine Blicke mit denen des Jungen. Lauritz schreckte keuchend zurück. Der Blick des Spielers war leer, die Augenhöhlen schwarze Tiefen. Nicht, dass er keine Augäpfel mehr gehabt hätte, vielmehr glichen die Augen einem trüben Dunkel, einer wolkenverhangenen, pechschwarzen Winternacht. Ein letztes Mal glommen die Augen des Spielers rot auf. Dann erloschen sie wie verglühende Kohlen mit einem silbrig weißen Schimmer. Der Spieler schloss endgültig die Augen.

Lauritz schreckte hoch. Hatte er geträumt? So dachte er zumindest. Später, viel später sollte er sich noch häufig fragen, ob dies ein Zeichen gewesen war. Eine Art Vorahnung. Oder aber war es Traumfänger selbst gewesen, der ihm diese Bilder geschickt hatte? Wie auch immer – geändert hätte es nichts.

Lauritz kniff zweimal kräftig die Augen zusammen und lachte laut auf, um die Traumbilder in seinem Kopf zu verscheuchen. Doch sein Lachen klang gekünstelt. Und so versuchte er es noch einmal, bis er fand, dass sein Lachen wieder normal klänge. Nur das flaue Gefühl im Bauch ließ sich nicht ganz vertreiben. Lauritz schob es auf den ersten Tag an einer neuen Schule. Angst konnte es nicht sein. Er hatte schließlich niemals Angst, höchstens Unsicherheit. Nein, auch das wollte er sich nicht eingestehen. Er nahm sich vor, sich bei seinen Mitschülern nach einem Fußballverein zu erkundigen, wo er spielen konnte. Hätte er den erst einmal gefunden, ging das mit der Eingewöhnung sicher doppelt so schnell. Und dann, als der Tag endgültig über die Nacht den Sieg errang, schlief der Junge noch einmal ein.

Lauritz war spät dran und musste sich beeilen, sein Bus fuhr bald. Er saß allein am Frühstückstisch. Seine Mutter räumte leise summend den Geschirrspülautomaten ein. Eilig schlang Lauritz einen Honigtoast herunter. Ohne sich dabei umzudrehen, ermahnte ihn seine Mutter:

„Schling nicht so, ich fahre dich gleich zur Schule.“

Erleichtert goss sich Lauritz noch einmal Kakao nach. Der Blick aus dem Fenster war immer noch grau. Schneeregen fiel herab, daumengroße eisige Tropfen klatschten gegen die Fensterscheibe.