Über Goethe von Karl Gutzkow

Karl Gutzkow
»Über Goethe –
Im Wendepunkt zweier Jahrhunderte. Eine kritische Verteidigung«
168 Seiten – Preis 10,50 €
ISBN 978-3-86672-014-5

Kapitel 1


Die späteren Italiener waren bei weitem nicht mehr so ungerecht gegen das Schöne. Bewunderten sie doch das Genie Alighieris, ob der Dichter gleich eine Sache verfocht, welche nur für einige kleine Baronien am Fuß der Alpen national war. Ja, würde man heute noch in Italien einen Kritiker, der an der göttlichen Komödie ein Suchen und Haschen nach gelehrten Effekten tadelte, meinetwegen eine eitle Absicht, besonders hohe Dinge zu fassen und das, was dem Dichter an Gelehrsamkeit abging, durch Unverständlichkeit zu ersetzen, kurz einen Kritiker, der über Dante seine eigene Meinung hat, wohl beschuldigen, daß ihn dazu der Haß gegen die Antinationalität desselben bestimme?

Wer lästerte noch Shakespeare, daß er seiner Königin in Prologen und Epilogen Sträuße von oft nur gemachten Blumen überreichte! Wer wird Anstand nehmen, über Onkel Bramble und Tante Tabitha zu lachen, wenn gleich Smollets Romane überfluten von Ausfällen auf die Preßfreiheit! Mit einem Worte, die falschen Maßstäbe, welche an die Kunst gelegt werden, sind eine ziemlich neue Erfindung.

Rousseau schlug die Pension aus, die ihm Frau von Pompadour anbot, und zog es vor, sich vom Notenschreiben zu ernähren. In einem Lande, wo der Zwiespalt zwischen Nation und Regierung offen genug ausgesprochen war, konnte eine solche Hochherzigkeit wohl als ein Opfer gefeiert werden, das die Freiheit und die unabhängige Philosophie mit beifälliger Akklamation annahmen. In Deutschland jedoch würde zu gleicher Zeit keiner der damaligen schönen Geister sich gescheuet haben, auf jene Offerte einzugehn; niemand würde darum einen höhern oder geringern Platz in der Geschichte der Literatur eingenommen haben. Weil die Nation zu zersplittert und zu arm ist, um aus eigenen Mitteln für die in Marmor oder Farbe oder in Worten wiedergegebenen Gesetze der Schönheit etwas tun zu können, so war von jeher für Deutschland die Unterstützung der Großen Lebensatem der Kunst. Jenen Flecken in unseren altdeutschen Minnegesängen, daß so viele den hungrigen Refrain hatten:

»Ich will aber Miethe (das heißt Bezahlung)hân«,

war das poetische achtzehnte Jahrhun- dert am wenigsten im Stande auszulö- schen. Seine kümmerlichen Umstände geboten ihm, an die Türen des Reichtums zu klopfen, Freitische anzunehmen, adelige Junker zu informieren und mit jungen Prinzen auf Bildungsreisen zu gehen. Das poetische achtzehnte Jahrhundert der Deutschen lebte wenig in der Gegenwart; seine Einbildungskraft versetzte es unaufhörlich nach Griechenland, in die Berge Ossians und Fingals, in die altdeutschen Eichenhaine. Für das, was sie umgab und wovon sie leben mußten, scheuten sich diese Dichtergilden durchaus nicht, Protektionen anzunehmen und von einer Dedikation die Hoffnung zu hegen, daß sie von ihrem Erfolge das nächste Vierteljahr einer sehr geplagten irdischen Existenz decken könnten. Unsere alten klassischen Dichter glaubten nicht, wenn sie nach solchen Experimenten wieder an die Statuen Griechenlands und das große Vorbild aller Poesie, an die Gesänge Homers, herantraten, daß in ihrer Atmosphäre irgend etwas Or- dinäres und Niedriges stäke, irgend ein gemeiner Hauch, wovon die großen Muster erblindet wären. Herder zog und erzog sich mit jungen Prinzen herum; Wieland lebte weniger von seinen Schriften, als den Dedikationen derselben, und Klopstock – schrieb die Gelehrten-Republik – worauf kam diese Schrift hinaus? großer Gott, der alte Barbe nahm sein schwarzes Käppchen vom Silberhaupte und hielt den Vorübergehenden eine Pränumerationsbüchse in den Weg.

So betrübend das Andenken dieser Erscheinungen ist, so erhielten sie durch andere Umstände dennoch eine bessere Beleuchtung. Man kann nicht sagen, daß sich die deutsche klassische Literatur, in ihrem abgeschabten Aufzuge, mit den Löchern unterm Ärmel, und der einfachen Stutzperücke von Hanf der vornehmen Aristokratie der Gönner aufgedrängt habe. Im Gegenteil kam ihnen diese entgegen. Die Freude über die beginnende Herrschaft der Schönheit und des tiefgefühlten Ge- dankens, hatte einen rosigen Abglanz auf das Antlitz Hoher und Niederer geworfen. Aus der unschönen, verbrauchten und abgestandenen Wirklichkeit flogen die mit innerem Seelenadel beschwingten Gemüter in die eben erst aufgeschlossenen frisch getünchten Tempel der neuen Kunst und später der Philosophie. Eine idealische Welt flocht ihre Blumengirlanden durch das rings mit Dornen und Disteln besetzte Dasein; man umging zuerst die Prosa, später jätete man sie sogar schon aus und versuchte Reaktionen des neu- en Himmels gegen die alte Erde. Die Schwärmerei für die Poesie stand denen am schönsten, welche in der Prosa die ergiebigsten Privilegien hatten, den Monarchen und Aristokraten. Auch sie lüfteten ihre Brust und schwenkten ihren Hut bei dem allgemeinen Frohlocken über die entdeckten Schönheiten und Wahrheiten. Indem nun Standesherren sich selbst unter die poetischen Wettkämpfer mischten, mußten sich da die gesellschaftlichen Unterschie- de nicht verlieren? Wenn ein adeliger Offizier den Frühling besang, dann durfte Gleim wohl in den poetischen Tornister des Grenadiers ein Loblied des Königs nach dem andern packen, und Rammler an jene russische Kanonenkugel, die ihn beinahe seinem Wirkungskreise entrissen hätte, eine Hymne auf Friedrich und die tapferen Brennen anknüpfen. Die Aristokratie suchte den Umgang mit der Literatur. Die Kronprinzen von Dänemark und von Preußen versprachen ihr für den einstigen Regierungsantritt glänzende Beförderungen, genug die Dichter warfen sich nicht weg, sondern es gab Mäzene genug, welche glücklich waren, ihnen auf eine anständige Weise unter die Arme zu greifen.

Jener schöne Wechselverkehr materiell und geistig Vermögender, hörte erst mit dem Ausbruch der französischen Revolution auf. Die Aristokratie erschrak über die Tändeleien, welche sie mit den dichterischen Predigern, Schulmeistern und Kandidaten so lange n einem arkadischen Rapport gehalten hatte. Diejenigen Sänger, welche von Adel waren, und ihre Winterquartiere in der Poesie genommen hatten, mußten sich jetzt zu ihren Regimentern begeben. Ton, Stil, Versmaß wurden anders. Die poetische Epistel, die Parabel, die Paramythie, die geistliche Kantate, das Triolet, das Sinngedicht oder Epigramm, das Lied schlechthin, kurz alles nahm einen ganz neuen Charakter an. Der Amtmann von Altengleichen fühlte diese Revolution bald, denn er hungerte. Voß emanzipierte die marschländischen Bauern für die Dichtkunst und vertrieb den arkadischen Plunder, die Phyllen und die Chloen, Damon und Amynt durch Mistgabeln, Dreschflegel und durch den niedersächsischen Dialekt, der vor‘m Gutsherrn nur noch halb die Mütze abnahm. Mit dem Pfluge des Virgil, welchen der Schulmeister von Eutin wieder entdeckt haben wollte, wurde der ganze poetische Boden Deutschlands aufgelockert. Freilich, der Same, der nun in die Furchen fiel, brachte keine Pensionen mehr, höchstens noch Professorate.