Künstlerkolonie Nidden

Zwischen Ostsee und Haff

Thomas Mann in NiddenIm Jahr 1928 machte sich der erst 15jährige Leipziger Schüler Rolf Italiaander auf nach Pillkoppen auf die Kurische Nehrung, um dort segelfliegen zu lernen. In einem Buch, das im renommierten Zürcher Verlag von Orell Füssli 1931 erschien, berichtete er über seine Zeit auf der Nehrung. Über Nacht wurde er als „Jüngster Segelflieger“ bekannt; und diesem ersten Buch sollten beinahe unzählig weitere folgen. Italiaander war also zu der Zeit im litauisch-deutschen Memelgebiet unterwegs, als im Fischerdorf Nidden sich Maler aus den nordostdeutschen Metropolen ein Stelldichein gaben.

Damals wie heute war und ist das Fischer-, Wald-, Dünen- und Feriendorf Nidden hübsch anzusehen. Die alten Fischerhäuser besonders, blaue, braune, rote und gelbe Häuschen aus Naturstein und Holz, Gras bewachsen die Dächer mit den verzierten Giebeln und den kurisch-blauen Windbrettern, zwischen denen Obstbäume, Phlox, Malven und Dahlien üppig hervorschauen; diese Baulichkeiten evozieren ein Gefühl von Menschenmaß, von Stolz und Freude über die Einfachheit des Lebens in einer ehrfürchtig bejahten Natur, die mit dem Menschen im Einklang ist, auch da noch, wo sie ihr wetterhartes Gesicht zeigt und das Leben der Fischer zumal mitunter aufs Spiel setzt.

Umschlag Familie Mann in NiddenThomas Mann und das Meer ist eine besondere Liebesgeschichte. Schon im “Tod in Venedig” spürt der Leser seinen Hang zum Meer, noch intensiver in dem Roman “Buddenbrooks” mit der Schilderung Lübeck Travemündes. So überrascht es nicht, daß sich Thomas Mann nach seinem kurzen Aufenthalt in der Kurischen Nehrung 1929 von Land und Leute angezogen fühlte und kurzer Hand den Entschluss faßte, eine Sommerresidenz in Nidden bauen zu lassen. Der Nobelpreis für Literatur, der ihm in dieser Zeit verliehen wurde, sorgte für die finanzielle Basis und so entstand in kurzer Zeit am Ortsrand von Nidden das Haus, das sich vortrefflich in die Landschaft einfügte.

Zeugnisse der Eheleute Katja und Thomas Mann sowie den Kindern finden sich in dem zahlreich bebilderten Buch ⇒ “Zwischen Ostsee und Haff – Familie Mann in Nidden” ⇐

Thomas Mann – Repräsentant der deutschen Literatur

KURZE NIDDEN-CHRONIK

Aber es waren nicht nur bildende Künstler, die sich von der Einmaligkeit der Nehrung angezogen fühlten. Auch der Repräsentant der deutschen Literatur, Thomas Mann, ließ sich auf dem Niddener Schwiegermutterberg ein Haus errichten, in welchem er zwischen 1930 und 1932 die Sommermonate mit den Seinen verbrachte. Vieles an Landschaftsbeschreibung in seinem großen Romangemälde „Joseph und seine Brüder“ ist der Nehrung bei Nidden entlehnt.

Nachbar auf dem Schwiegermutterberg, mit seiner großartigen Aussicht auf das Haff und den malerischen Flecken Purwin, war Carl Knauf, ein aus dem Rheinland stammender Maler, der bis zu seinem frühen Tod 1944 in Nidden wohnhaft war. Mehr als jeder andere  Künstler der Niddener Kolonie hat er dort gemalt, hat er Landschaft und Menschen festgehalten und Zeugnis abgelegt von der Schönheit und Einzigartigkeit des schmalen Sandstreifens zwischen Ostsee und Haff.

Sie alle sind der Faszination Niddens erlegen, einer Faszination, die noch heute und gerade heute Nidden und die Kurische Nehrung zu einem Ausflugsziel besonderer Güte werden ließ.

Doch übersehen wir nicht den schnell sich vollziehenden Wandel. Die alten Kurenkähne gibt es nicht mehr; sie haben Dutzenden schmucker Jachten im kleinen Hafen Platz gemacht, ein einziger originaler Nachbau segelt noch auf dem Haff und gibt einen Eindruck vom Handwerk der Fischer.

Auch die Hohe Düne, ebenfalls ein Merkmal der kurischen Nehrung, strahlend gelb und silbrig ist in großen Teilen bewachsen und übergrünt und hat ihren mythischen  Charakter als Saharalandschaft Europas weitgehend verloren. Die Fischerhäuschen aber existieren weiter und erhalten Nidden seine bauliche Besonderheit, auch wenn heute darin kaum mehr Fischer anzutreffen sind. Die Enkel derjenigen, die auf dem kleinen deutschen Friedhof von Nidden ihre letzte und endgültige Ruhe gefunden haben, sind längst im Gast- und Tourismusgewerbe tätig oder nach 1945 oder deren Urenkel nach 1990 außer Landes gegangen.

Das Nidden, dass die Künstler einst von weit her an sich zog existiert nur noch in ihren Werken. Viele sind uns längst nicht mehr geläufig, allenfalls Wilhelm Eisenblätter oder auch Max Pechstein sind uns noch vertraut. Über die anderen scheint die Zeit hinweggegangen zu sein. Kein empfindsamer Mensch, kein Künstler zumal, konnte und kann sich dieses Eindrucks erwehren, über den schon Wilhelm von Humboldt schrieb: „Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie eigentlich ebenso gut als Spanien und Italien gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll.“ https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstlerkolonie_Nidden

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Thomas Mann in NiddenDie Geschichte Niddens ist geprägt von Schicksalsschlägen. Erste Dokumente lassen sich aus dem Jahr 1385 nachweisen.

1709 wure fast die gesamte Bevölkerung durch die Pest dahingerafft. Agnes Miegel nahm dieses Ereignis zum Anlaß für die Ballade »Die Frauen von Nidden«:

… Und in dem Dorf, aus Kate und Haus,
Sieben Frauen schritten heraus.
Sie schritten barfuß und tief gebückt
In schwarzen Kleidern bunt bestickt.

Sie klommen die steile Düne hinan,
Schuh und Strümpfe legten sie an,
Und sie sprachen: “Düne, wir sieben
Sind allein noch übrig geblieben.

Kein Tischler lebt, der den Sarg uns schreint,
Nicht Sohn noch Enkel, der uns beweint,
Kein Pfarrer mehr, uns den Kelch zu geben,
Nicht Knecht noch Magd ist mehr unten am Leben. – …

Niddens Geschichte ein Auf und Ab

Nicht einmal 40 Jahre spter mußte der Ort ein weiteres Mal neu aufgebaut werden. Nach 1919 sorgte der Versailler Vertrag für die Abspaltung vom Deutschen Reich, anschließend (ab 1923) gehörte das Gebiet zum unabhängigen Litauen.

In dieser Zeit knüpfte man noch einmal an die künstlerisch fruchtbaren Jahre der »Künstlerkolonie Nidden« an, nicht zuletzt und begünstigt durch den Nobelpreisträger Thomas Mann, der in Nidden sein Sommerhaus bauen ließ – scherzhaft Onkel Toms Hütte genannt.

Der Zweite Weltkrieg und die Folgen für das künstlerische Nidden

Nach der Emigration von Thomas Mann 1933 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs übernahmen zuerst die Nationalsozialisten und anschließend die Soldaten der Rote Armee das Ruder in Nidden. Sie deklassierten die Kunstwerke zur »Entarteten Kunst« und zerstörten den Großteil der bildnerischen Schätze.

Heute gehört Nidden zu dem beliebtesten Urlaubsziel der Kurischen Nerung, insbesondere für Kunst- und Literaturliebhaber, wofür u.a. das Thomas Mann Haus, das Hermann-Blode-Museum und das Museum zur Geschichte der Kurischen Nerung stehen. ⇒ Ausführliche Informationen finden Sie hier ⇐